Orange Days in Bad Tölz und Wolfratshausen: Prävention und Hilfen für Gewalt-Opfer

Landkreis – Vier starke Frauen aus dem Landkreis machen dieser Tage besonders auf ein wichtiges globales Thema aufmerksam – sich explizit gegen Gewalt an Frauen und Mädchen zu positionieren.
Heute am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen starteten die von der UN ins Leben gerufenen Orange Days, eine jährlich stattfindende weltweite Initiative für Prävention und Hilfen, die mit dem Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember endet.
Zu diesem Anlass organisiert der Club Soroptimist International Isartal Bad Tölz (SI), wie in den vergangenen Jahren, eine Weihnachts-Wunsch-Aktion für Geschenke an Kinder und Frauen, die in hiesigen Frauenhäusern zum Schutz gegen Gewalt untergebracht sind, um dort erst einmal Zuflucht zu finden. Gemeinsam mit der Opferhilfe Weisser Ring, Frauen helfen Frauen und der Gleichstellungsbeauftragen des Landkreises, Felicitas Wolf, verteilt der Club Soroptimist zudem Info-Flyer zur Prävention „Read the sings“ (zu Deutsch: „Zeichen erkennen“) jeweils vormittags am 5. Dezember beim Tölzer Omnibusbahnhof Isarkai sowie am 9. Dezember am Sebastiani-Steg in Wolfratshausen.
Diesjähriges Orange Days Motto: „Read the Signs“
Unter diesem Motto sind Anzeichen gemeint, „an welchen Frauen erkennen, ob sie sich möglicherweise in einer von Gewalt bedrohten toxischen Beziehung befinden“, erklärt SI-Präsidentin Claudia Harrasser. Für diesen Fall sollen die Flyer dazu ermutigen, „Rat und Unterstützung zu suchen“.
Fakt ist: Gewalt gegen Frauen, lange Zeit ein gesellschaftliches Tabuthema, ist über die vergangenen Jahre mehr ins Bewusstsein der Gesellschaft gerückt – gerade durch Veranstaltungen wie die Orange Days, die es seit 1991 gibt. Und Zahlen belegen diese harte Tatsache.
UN Women Deutschland: „Jeden dritten Tag tötet ein Mann seine (Ex-)Partnerin“
„In Deutschland ist jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen, das sind mehr als 12 Millionen Frauen“, berichtet UN Women Deutschland auf seiner Homepage, und weiter: „Alle 45 Minuten wird eine Frau in Deutschland durch ihren Partner gefährlich körperlich verletzt. Jeden dritten Tag tötet ein Mann seine (Ex-)Partnerin.“
„Über 80 Prozent der Opfer sind bei uns weiblich“, berichtet Helgard van Hüllen, Außenstellenleiterin des Weissen Rings Bad Tölz-Wolfratshausen. Zwei Drittel der Betroffenen aus der Region haben dabei Körperverletzung und häusliche Gewalt erlebt. Daher sei es wichtig, „dass es Institutionen gibt, die sich um diese Frauen kümmern“. Insbesondere im Vorfeld, „um sich Rat holen zu können, falls die Situation eskaliert“, betont van Hüllen weiter.
Organisationen raten: Frühe Beratung und Hilfe für Gewaltopfer wichtig
Dass es dafür mehrere Organisationen in der Region braucht, bestätigt auch Nicoline Pfeiffer, Mitarbeiterin vom Verein Frauen helfen Frauen, der für die Frauenhäuser im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach zuständig ist: „Das Problem ist ziemlich massiv, wir haben sehr viele Nachfragen“, betont sie.
Gerade das Problem für Frauen, aus einer Gewaltbeziehung auszusteigen, sei im Laufe der Jahre trotz guter Gesetze zum Opferschutz nicht einfacher geworden. Pfeiffer meint damit, wie etwa die Gesellschaft oftmals misstrauisch auf häusliche Gewalt reagiert – gerade im Hinblick auf möglicherweise taktisches Vorgehen vor Gericht, wenn es um das Sorgerecht der Kinder gehe. Ein solcher „Generalverdacht“ lasse sich wissenschaftlich allerdings nicht belegen.
Studie belegt: Nur acht Prozent Opfer häuslicher Gewalt zeigen den Täter an
Jedoch die Tatsache, dass das Verhalten von Frauen Gewalt öffentlich zu machen, immer noch sehr zögerlich sei, berichtet Pfeiffer. Sie bezieht sich dabei auf eine Deutschland-Studie (von Ursula Müller und Monika Schröttle), die für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2004 durchgeführt wurde. Pfeiffer: „Nur acht Prozent der Opfer häuslicher Gewalt zeigen den Täter an und nur zwei Prozent werden verurteilt.“ Dass die Studie nach 18 Jahren mittlerweile überholt ist, ergänzte van Hüllen: „Es soll jetzt eine neue Studie herauskommen. Wir hoffen, dass sich was geändert hat.“
Fast genauso lang besteht eine gute Vernetzung zwischen den Opferhilfen im Landkreis, um sich gegenseitig auszutauschen. Dafür gebe es seit 20 Jahren einen runden Tisch mit wechselnden Teilnehmern, die sich zweimal jährlich mit häuslicher Gewalt auseinandersetzen, berichtet die Kreis-Gleichstellungsbeauftragte Felicitas Wolf: „Dabei besprechen wir Themen, die uns akut beschäftigen.“ Zuletzt eben auch die Zunahme von häuslicher Gewalt gerade zu Zeiten der Corona-Pandemie mit seinen Lockdowns. „Da ist es wieder schlechter anstatt besser geworden.“
Orange Days lenken Fokus heuer auf Prävention: „Anzeichen einer toxischen Beziehung erkennen“
Um auf diese Tatsache hinzuweisen, lenken die international ausgerichteten Orange Days den Fokus jedes Jahr darauf: „Gewalt gegen Frauen ist immer noch ein weltweites Thema“, ergänzt Claudia Harrasser vom Club Soroptimist International Isartal-Bad Tölz (SI). Darauf verweist die von der UN ausgerufene Veranstaltung, durch das von SI Europa ausgerufene Motto „Read the Signs“.
Harrasser zufolge geht es dabei um Prävention; „woran erkenne ich als Betroffene, mich möglichst frühzeitig aus einer Gewaltbeziehung zurückzuziehen.“ Laut den Expertinnen kann dies jeder Frau aus jeder soziale Schicht passieren, egal ob Akademikerin oder Reinigungskraft.
Auch Männer sind von häuslicher Gewalt betroffen - Dunkelziffer unbekannt
Aber auch Männer sind von häuslicher Gewalt betroffen. Auch sie haben sich laut Leiterin bei der Außenstelle Weisser Ring im Landkreis zunehmend Rat und Hilfe gesucht. „Wie hoch die Dunkelziffer der männlichen Opfer ist, weiß man nicht genau“, betont van Hüllen. Jedoch rechne man hier mit einem Anteil von über 20 Prozent. Für Männer sei es oftmals schwerer, sich Mut zu fassen, um etwas zu tun. Da die Hemmschwelle sich persönlich Hilfe zu suchen größer sei, „melden sie sich nicht über das Opfertelefon, sondern online“.
Es dauert lange bis ein zerstörtes Selbstwertgefühl wieder aufgebaut wird
Die Expertinnen betonten, dass Aufklärung, Beratung und Hilfe für jedes Opfer gleichermaßen gilt. Die Hilfen beinhalten finanzielle Stütze, Rechtsanspruch oder eine medizinische Beratung. Wichtig ist: „Je früher, desto besser“, betont van Hüllen. In diesem Zusammenhang berichtet Pfeiffer von Erlebnissen aus dem Frauenhaus. So hätten ihr viele Opfer erzählt, dass neben den körperlichen Angriffen, die psychische Gewalt „am meisten belastet“. Harrasser ergänzt: „Es dauert lange bis ein zerstörtes Selbstwertgefühl wieder aufgebaut wird.“ Dafür benötige es eine lange therapeutische Begleitung.
Hilfen und Weihnachts-Wunsch-Aktion fürs Frauenhaus
Opferhilfe und rechtlicher Beistand beim Weissen Ring (Tel: 08041/80 171 3), Frauen helfen Frauen und Frauenhaus im Landkreis (Tel: 08171/186 80) sowie das Bundes-Hilfstelefon „Gewalt gegen Frauen“. Letzteres ist mehrsprachig, rund um die Uhr und kostenfrei unter Tel: 08000-116 016 zu erreichen. Die Weihnachts-Wunsch-Aktion – Geschenke fürs Frauenhaus – ist in der Tourist-Info (Marktstraße 48) und im Gasthof Kolberbräu (Marktstraße 29) bis Samstag, 17. Dezember, in Bad Tölz möglich.