„Es soll friedlich bleiben und keine Eskalation geben“, mahnte Gerald Bruschek. Zusammen mit Stadträtin Ulrike Krischke, Stadtrat Peter Lobenstein und Konrad Huber hatte er drei Tage zuvor das Aktionsbündnis „WOR tolerant“ ins Leben gerufen, dem sich am Montagabend 430 Menschen anschlossen. Etwa eine halbe Stunde bevor die ersten „Spaziergänger“ auf Höhe des Schwankl-Ecks in den Obermarkt einbogen, bildeten sie eine Menschenkette bis zum Marienplatz.
Einige von ihnen trugen Schilder mit Aufschriften wie „Gemeinwohl geht über Egoistenwohl“, „Fakten gibt’s nicht bei Telegram“ oder „Solidarität mit Kindern, Kranken und Krankenhauspersonal“. Im Gegensatz zu den „Spaziergängern“ auf der anderen Straßenseite trug jeder von ihnen eine FFP2-Maske. „Das ist hoffentlich ein Signal, dass wir uns von dieser Minderheit nicht terrorisieren lassen“, drückte sich Hans-Werner Kuhlmann drastisch aus.
Das ist hoffentlich ein Signal, dass wir uns von dieser Minderheit nicht terrorisieren lassen
Der ehemalige Vorsitzende des Vereins Lebendige Altstadt Wolfratshausen war ebenso wie viele Wolfratshauser Stadträte und Mitglieder der Stadtverwaltung dem Aufruf des Aktionsbündnisses gefolgt. Mit entsprechendem Abstand, verbunden mit Schals standen die Teilnehmer von „WOR tolerant“ vom Schwankl-Eck über Ober- und Untermarkt bis fast zur Bahnhofstraße auf dem Gehweg „und bildeten so eine Menschenkette“, berichtete Wolfratshauser Polizeichef Andreas Czerweny.
Die Bürger der Menschenkette stehen für Solidarität. „Die Personen hinter ‚WOR tolerant‘ sehen die unangemeldeten, oft nicht Corona-konformen Proteste mit Besorgnis und kritisieren den latenten Schulterschluss mit Rechtsextremen“, gibt Bündnis-Gründungsmitglied Konrad Huber an. Man sehe „im Schweigen der Montags-Spazierenden das Manko eines nicht offen ausgetragenen Diskurses, und in der Verweigerung der Protestierenden, offen Verantwortung für ihre Haltung und ihren Protest zu übernehmen, eine Gefahr für die demokratischen Prozesse“, erläuterte Huber weiter. Mit dem Bündnis wolle man zeigen, dass das in Wolfratshausen nicht unwidersprochen bleibt, und dass ein überwiegender Teil der Wolfratshauser sich davon distanziert.
Das Bündnis stehe für Solidarität mit den besonders durch Corona gefährdeten Bevölkerungsgruppen in dieser Pandemie und sie sind davon überzeugt, dass ein gemeinschaftliches Handeln zum Wohle aller notwendig sei, um die Pandemie einzudämmen, erklärte Huber. Solidarisch möchte man sich auch mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen zeigen, die sich trotz teilweise schwieriger Arbeitsbedingungen dem Kampf gegen Corona stellen und deren Kampf nun von Querdenkern missachtet werde.
Assunta Tammelleo, Stadträtin der Grünen und Vorsitzende des Kulturvereins Isar-Loisach, reihte sich bewusst nicht ein. „In einem Rechtsstaat sind alle Bürger/innen aufgefordert, sich für die gesellschaftlichen Zustände zu interessieren, sich einzubringen und – dies durchaus auch kritisch. Davon lebt Demokratie. Persönlich gehe ich nicht spazieren an den Montagabenden, weil ich tatsächlich mit Menschen, die den Aufrufen des ‚Dritten Weg‘ folgen, wirklich gar nichts zu tun haben möchte“, teilte sie mit.
Die Mehrheit bildeten an diesem Montagabend dennoch die Corona-Maßnahmen-Kritiker die zudem von Menschen aus den Nachbarlandkreisen Starnberg, München und Weilheim-Schongau unterstützt wurden. Einige von ihnen suchten sogar den friedlichen Dialog mit Teilnehmern oder verteilten gehäkelte Herzchen an sie. Und der Wolfratshauser Kristjan Diehl sieht sogar ansatzweise Überschneidungen in den Meinungen der beiden Gruppen. „Wir dürfen uns durch die erratische Corona-Politik von Bundes- und Landesregierungen als Bürger, Mitmenschen, Freunde und Verwandte auf kommunaler Ebene nicht in Streit und Eskalation verirren“, forderte er.
Am Ende verzeichnete Christina Loy von der Wolfratshauser Polizei keine Ordnungswidrigkeiten. Ob das so bleibt, wird sich voraussichtlich an den kommenden Montagabenden zeigen. Dann treffen sich beide Gruppen wahrscheinlich erneut auf der Marktstraße. Das Aktionsbündnis „WOR tolerant“ wirbt derweil unter den Gruppenmitgliedern für besondere Besonnenheit bei Demonstrationen. Huber berichtete von ersten Signalen der Bereitschaften, in Dialog mit den Spaziergängern zu treten. Diese „werten wir als guten Erfolg, und zwar für beide Seiten“, sagte er. Die Gespräche seien von Respekt geprägt gewesen. „Das ist eine gute Perspektive.“ Franca Winkler und Peter Herrmann