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Interview: Zwei Pharmazeuten berichten über die Engpässe bei Medikamenten

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Von: Michaela Schubert

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Christopher Hummel, Bayerischer Sprecher des Apothekenverbandes im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen (l.) und Peter Gerhold aus dem Landkreis Miesbach.
Christopher Hummel, Bayerischer Sprecher des Apothekenverbandes im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen (l.) und Peter Gerhold aus dem Landkreis Miesbach. © Privat

Region - Apotheker sollen laut Gesetz die Bevölkerung ordnungsgemäß mit Medikamenten versorgen. Warum genau das zur Herausforderung wird, darüber berichten Christopher Hummel, Bayerischer Sprecher des Apothekenverbandes im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen und der Apotheker Peter Gerhold aus dem Landkreis Miesbach.

Gibt es immer noch zu wenig Medikamente in der Region?

Hummel: „Die Lage hat sich überhaupt nicht entspannt, eher verschlechtert.“

Gerhold: „Lediglich verschieben sich Lieferprobleme.“

Welche Medikamente sind derzeit nicht verfügbar und warum?

Hummel: „Nach wie vor fehlt es an Kinderzäpfchen und Fiebersäften, die nur sehr vereinzelt geliefert werden. Ganz schlecht sieht es mit Antibiotikasäften aus.“

Gerhold: „Haben wir bei den Kinderarzneimitteln die Problematik bei den Schmerz- und Fiebersäften weitgehend überwunden, so stehen andere Kinderarzneimittel wie beispielsweise gegen Magen-Darmstörungen oder Infektionen jetzt im Fokus.“

Woran liegt es, dass es derzeit an allen Ecken und Enden fehlt, Herr Gerhold?

„Die Gründe für Lieferengpässe sind vielfältig. Unter anderem hören wir: ‚Die Charge eines Arzneimittels kann nicht ausgeliefert werden, weil die Packungsbeilage nicht geliefert wurde.‘ Oder es würde an Tropfgläser wegen zu hoher Produktionskosten mangeln. Ebenso Aussagen aus der Pharmaindustrie: ‚Wir können zu diesem niedrigen Preis und unserer hohen Qualität nicht ganz Deutschland versorgen.‘ Bei der Abgabe aus größeren Gebinden würden wir in der Apotheke schon unkonventionelle Lösungen finden. Aber dem steht die ganze Macht unserer Bürokratie entgegen.

Herr Gerhold, wie hat sich denn der pharmazeutische Markt in den vergangenen Jahren verändert?

„Ich beobachte den Pharmamarkt jetzt seit über 30 Jahren. Konnten früher aktive pharmazeutische Wirkstoffe in Deutschland aus den Rohstoffen, die in der Erdkruste und in der Luft vorhanden sind, chemisch synthetisiert werden, so können wir heute diese Wirkstoffe nur noch im Ausland einkaufen.Wenn wir sie eben bekommen und sie dann in Arzneiformen wie Tabletten, Zäpfchen, Salben, Infusionen ‚verpacken‘.“

Wie meistern Sie die Engpasssituation in Ihrem Arbeitsalltag, Herr Hummel?

„Man muss quasi täglich vergleichen, ob das Pharmazeutikum auf dem verschriebenen Rezept verfügbar ist. Derzeit ist die Realität, dass jedes zweite Medikament nicht verfügbar ist.“

Wie ist das Prozedere, wenn ein Medikament nicht verfügbar ist?

Gerhold: „Wir prüfen, welcher Hersteller ein Alternativ-Präparat mit gleichem Wirkstoff liefern kann. Natürlich müssen wir uns hier bei der Krankenkasse rechtfertigen. Ein bürokratischer Aufwand, den wir kostenlos leisten.“

Hummel: Anhand akribischer Dokumentation, müssen wir uns gegenüber den Krankenkassen rechtfertigen, warum wir ein Medikament nicht bei dem Rabatthersteller bestellen. Dafür wurden Sonderpharmazentralnummern, kurz SPZN, eingeführt, die auf das Rezept mit abgedruckt werden.“

Was heißt das konkret?

Hummel: „Apotheken müssen der Krankenkasse mitteilen, wenn ein benötigtes Medikament beim Rabattvertragshersteller gerade nicht lieferbar ist. Die Kasse überprüft anhand der SPZN, ob das Produkt am Tag X nicht verfügbar war und warum.“

Gerhold: „Die SPZN erleichtert uns die Arbeit etwas, sodass wir diesen ganzen Irrsinn überhaupt bewerkstelligen können und dem Patienten sofort helfen können. Allerdings will uns der Gesundheitsminister diese kleine Freiheit wieder nehmen und wir künftig bei Lieferschwierigkeiten wieder mit den Ärzten telefonieren müssten, damit diese ein neues Rezept ausstellen, für ein Produkt, das lieferbar ist.

Also sind Hersteller-Rabattverträge mit Krankenkassen der Übeltäter für Lieferengpässe?

Hummel: „Ja, definitiv. Krankenkassen schließen mit Low-Budget-Herstellern Verträge, denn der Preis ist entscheidend. So kommen nur ein, zwei Firmen zum Zug. Natürlich sind das Hersteller, die nicht in Deutschland produzieren. Ein deutsches oder europäisches Unternehmen, das ein Medikament liefern könnte, fällt aus der Rabattvertragsverhandlung raus, weil es teurer ist. Diese Verträge gehören abgeschafft.“

Gerhold: „Das Problem entsteht dann, wenn Rabattvertragshersteller aus welchen Gründen auch immer lieferunfähig sind, schon haben wir den Engpass, wie es beim Paracetamolsaft war.“

Dann bleibt nur noch selbst herstellen?

Hummel: „Wären die Rabattverträge weg, hätten wir wieder Zeit selbst im Labor zu stehen und Fiebersäfte und anderes selbst herstellen. Aber wie gesagt, was sollen wir denn noch alles machen, wenn uns vor lauter Bürokratie keine Zeit mehr bleibt.

Worin sehen Sie den Grund für die ganze Misere, Herr Gerhold?

Gerhold: „‚Pharma‘ böse, teuer, dreckig, das war der Tenor, der über Jahrzehnte dazu führte, dass ‚Pharma‘ sich aus Deutschland und Europa weitgehend verabschiedet hat. Eine Politik, welche nur in Vier-Jahres-Wahlzeiträumen denkt, hat da, wo langfristige Planung erforderlich ist, versagt. Und irgendwelche Beteuerungen, man wolle die Herstellung von aktiven pharmazeutischen Wirkstoffen wieder nach Europa zurückholen, sind hohle Phrasen. In einem ganz kurzen Zeitraum hat diese Politik ihre Unfähigkeit zu langfristiger Planung bewiesen.“

Gibt es noch ein Beispiel, Herr Gerhold?

„Wir hatten zu Beginn der Pandemie keine Masken und die Politik hatte dazu aufgerufen, in Deutschland zu produzieren. Einige Unternehmer hatten auch tatsächlich investiert und eine Maskenproduktion in Deutschland aufgebaut. Die gehen jetzt alle in die Insolvenz.“

Lieferengpässe, Personalnot und Unterfinanzierung: Mit dem deutschlandweiten Protesttag der Apotheken am Mittwoch, 14. Juni, will die Bundespolitik auf diesen Missstand in der Branche hinweisen.

Paragraph 1 aus dem Apothekengesetz - ApoG

„(1) Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln.“

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