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Tunesien: Mehrheit der Wähler stimmt für neue Verfassung

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Von: Teresa Toth, Nail Akkoyun, Christian Stör

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Seit Monaten ist Tunesien politisch gespalten. Einst Hoffnungsträger nach den arabischen Protesten 2011 droht nun wieder eine Rückkehr in die Autokratie.

Update vom Mittwoch, 27. Juli, 05.20 Uhr: In Tunesien hat eine Mehrheit der Wähler bei einem Referendum für eine neue Verfassung und damit für einen erheblichen Machtzuwachs des Präsidenten gestimmt. Die Zustimmung lag bei 94,6 Prozent, wie die Wahlbehörde in der Nacht zum Mittwoch mitteilte.

Die Verfassung kann trotz der geringen Beteiligung von nicht einmal einem Drittel der Wahlberechtigten in Kraft treten – und sieht keine Instanz mehr vor, die Präsident Kais Saied kontrollieren oder ihn gar des Amtes entheben könnte.

Anhänger des tunesischen Präsidenten Kais Saied feiern am Abend nach dem vorläufigen Ergebnis des Verfassungsreferendums in Tunesien.
Anhänger des tunesischen Präsidenten Kais Saied feiern am Abend nach dem vorläufigen Ergebnis des Verfassungsreferendums in Tunesien. © Khaled Nasraoui/dpa

Referendum in Tunesien: Präsident verspricht Reformen nach Wahlerfolg

+++ 12.00 Uhr: Nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum in Tunesien hat Präsident Kais Saied versprochen, mit der neuen Verfassung „alle Forderungen des tunesischen Volks“ umzusetzen. „Es gibt wichtige Reformen, die eingeleitet werden müssen“, sagte Saied vor Reportern, wie die staatliche Nachrichtenagentur TAP meldete

Das Verfassungsreferendum wurde auch als Abstimmung über Saieds bisherige Führung angesehen. Die geringe Beteiligung könnte Saieds Kritikern Aufwind geben und dessen Legitimität schwächen. Viele Tunesier kämpfen mit Arbeitslosigkeit und Armut. Auf diese Probleme geht die neue Verfassung aber kaum ein..

Update vom Dienstag, 26. Juli, 07.15 Uhr: In Tunesien zeichnet sich bei dem von der Opposition boykottierten Referendum über eine neue Verfassung eine breite Mehrheit für das umstrittene Projekt ab. Laut Nachwahlbefragungen des Meinungsforschungsinstituts Sigma Conseil stimmten am Montag zwischen 92 und 93 Prozent der Teilnehmer für den Verfassungsentwurf, der Präsident Kais Saïed deutlich mehr Macht verleihen soll. Offizielle Ergebnisse werden erst für Dienstagabend oder Mittwochmorgen erwartet.

Die Wahlbehörde Isie teilte mit, die Wahlbeteiligung habe bei 27,54 Prozent gelegen. Demnach gaben 2,46 Millionen der 9,3 Millionen registrierten Wähler ihre Stimme. Das ist mehr, als Beobachter angesichts der Boykott-Aufrufe der Opposition erwartet hatten. Isie-Chef Farouk Bouasker sagte, die Wähler seien ihrer historischen Verantwortung gerecht geworden und hätten sich in „sehr respektabler Zahl“ in die Wahlbüros begeben.

Referendum in Tunesien: Wahlbeobachter in mehreren Wahllokalen von Arbeit abgehalten

+++ 21.40 Uhr: Eine tunesische NGO (Nichtregierungsorganisation) berichtet davon, dass Beobachter in mehreren Wahllokalen an der Ausübung ihrer Aufgaben gehindert wurden. Sie sollten die Wahlen beobachten und Bericht erstatten. In einer Empfehlung auf ihrer offiziellen Facebook-Seite forderte die NGO die Wahlkommission auf, schnell zu intervenieren und die Akkreditierungsurkunden dieser Beobachter zu validieren, damit sie ihre Überwachungsfunktion ausüben können.

Referendum in Tunesien: Kritiker warnt – Verfassung ebnet Weg für Diktatur

+++ 16.30 Uhr: Tunesien gilt als einziger Staat, dem nach den arabischen Aufständen ab 2010 der Übergang zur Demokratie gelungen ist. Präsident Kais Saied hofft nun, die alte Verfassung von 2014 mit dem heutigen Referendum zu ersetzen. Dadurch würden wieder deutlich mehr Befugnisse beim Präsidenten liegen und andere Institutionen geschwächt, vor allem Parlament und Justiz. Kritiker sprechen von einer drohenden Rückkehr zur autoritären Herrschaft.

Auch einer der Experten, der selbst zum Team gehörte, das die neue Verfassung ausgearbeitet hat, kritisierte die endgültige vorliegende Form. Laut Al-Jazeera sprach Verfassungsrechtler Sadok Belaid davon, dass die von Saied völlig überarbeitete Verfassung „erhebliche Risiken und Mängel“ beinhalte, die den Weg für „ein schändliches diktatorisches Regime“ ebne.

Tunesien: Präsident Kai Saied (rechts) spricht mit dem Volk.
Tunesien: Präsident Kai Saied (rechts) spricht von einer „historischen Entscheidung“. © Tunisian Presidency/Imago

Referendum in Tunesien: Präsident Kais Saied beschuldigt Rivalen

+++ 14.30 Uhr: Die Beteiligung am Referendum zur Verfassungsänderung in Tunesien bleibt weiterhin dünn. Einer, der seine Stimme bereits sehr früh abgegeben hat, ist Präsident Kais Saied. „Gemeinsam gründen wir eine neue Republik auf der Grundlage echter Freiheit, Gerechtigkeit und nationaler Würde“, sagte er dabei zur Presse, Tunesien stünde vor einer „historischen Entscheidung“.  

Saied beschuldigte auch namentlich nicht genannte Rivalen, Geld verteilt zu haben, um die Menschen davon abzuhalten, zur Wahl zu gehen. Beweise für seine Behauptung lieferte er nicht. Die Wahlbeteiligung wird als Test für Saieds Popularität nach einem Jahr zunehmend strenger Alleinherrschaft angesehen.

Tunesiens Präsident Kais Saied gibt während eines Referendums über eine neue Verfassung in Tunis, Tunesien, seine Stimme in einem Wahllokal ab
Tunesiens Präsident Kais Saied gibt während eines Referendums über eine neue Verfassung in Tunesien, seine Stimme ab. © afp

Referendum in Tunesien: Präsident Kais Saied lässt über neue Verfassung abstimmen

+++ 12.30 Uhr: Präsident Kais Saied lässt in Tunesien über eine neue Verfassung abstimmen. Für den tunesischen Politologen Tarek Kahlaoui ist dies ein logischer Schritt. Saieds Einführung einer neuen Verfassung sei immer Teil seines politischen Projekts gewesen, ein Präsidialsystem zu schaffen, sagte Kahlaoui gegenüber dem TV-Sender Al-Jazeera. „Das politische System wird sich zu einem hauptsächlich präsidentiellen System entwickeln, in dem der Präsident die Exekutive ist“, sagte Kahlaoui. „Sogar der Premierminister wird unabhängig von Parlamentswahlen vom Präsidenten gewählt. Dies ist eine hohe Machtkonzentration in den Händen des Präsidenten“, fügte er hinzu.

AmtsspracheArabisch
HauptstadtTunis
Staats- und Regierungsformsemipräsidentielle Republik
StaatsoberhauptKais Saied
RegierungschefinNajla Bouden Romdhane
Fläche163.610 km²
Bevölkerung11,9 Millionen (2021)
WährungTunesischer Dinar (TND)
Nationalfeiertag20. März

+++ 10.15 Uhr: In Tunesien haben am Montagmorgen die ersten Wahlberechtigten über eine neue Verfassung abgestimmt. Die Einführung einer neuen Verfassung ist Teil eines von Präsident Kais Saied vorangetriebenen politischen Umbaus. In den Wahllokalen der Hauptstadt Tunis war am Morgen zunächst wenig los. Umfragen deuteten auf eine geringe Wahlbeteiligung hin – zumal auch die Opposition zum Boykott des Referendums aufruft. Sie betrachtet den gesamten Prozess als illegitim.

Tunesien war nach den arabischen Aufständen ab 2010 als einziges Land der Wandel zur Demokratie gelungen. Kritikerinnen und Kritiker werfen Saied vor, das nordafrikanische Land nun wieder in eine Diktatur zurückführen zu wollen. Das Verfassungsreferendum wird auch als Abstimmung über Saieds bisherige Führung angesehen.

Update vom Montag, 25. Juli, 06.45 Uhr: Die Bürger Tunesiens sind am Montag zu einer Volksabstimmung über die von Präsident Kais Saied vorangetriebene Verfassungsreform aufgerufen. Diese sieht vor, die Befugnisse des Staatschefs erheblich auszuweiten. Der Präsident soll demnach die Exekutivgewalt ausüben und den Regierungschef und die Minister ernennen können. Die Stellung des Parlaments würde deutlich geschwächt. Eine Absetzung des Präsidenten ist nicht vorgesehen.  

Referendum in Tunesien: Hunderte protestieren gegen drohende Alleinherrschaft

+++ 22.05 Uhr: In Tunesien können am Montag (25. Juli) etwa neun Millionen Menschen über die neue Verfassung abstimmen. Der Verfassungsentwurf sieht vor, dass die Macht von Tunesiens Staatsoberhaupt Kais Saied ausgebaut wird – zulasten von Parlament und Justiz. Kritiker werfen Saied vor, das Land nun wieder in eine Diktatur zurückführen zu wollen. Die Opposition ruft zum Boykott des Referendums auf. Sie betrachtet den gesamten Prozess als illegitim.

Die neue Verfassung tritt jedoch bei einfacher Mehrheit für den Entwurf unabhängig von der Wahlbeteiligung in Kraft. Die Wahllokale sind zwischen 6 und 22 Uhr geöffnet. Mit ersten Ergebnissen wird am Dienstag oder Mittwoch gerechnet.

Referendum in Tunesien: Hunderte protestieren gegen drohende Alleinherrschaft

Update vom Sonntag, 24. Juli, 16.23 Uhr: Vor dem Referendum über eine neue Verfassung in Tunesien am 25. Juli nehmen die Spannungen im Land weiter zu. Am Samstag (23. Juli) versammelten sich hunderte Menschen im Zentrum von Tunis, um gegen die neue Verfassung, die die Macht von Tunesiens Staatsoberhaupt Kais Saied noch weiter ausbauen würde, zu demonstrieren.

Die Demonstrierenden befürchten, dass der neue Verfassungsentwurf Grundlage für eine erneute Diktatur im Land sein wird: „Die Menschen sind heute zusammengekommen, weil sie sich der Gefahren des Referendums bewusst sind, mit dem die Verfassung eines autokratischen Präsidenten eingeführt werden soll, der die Institutionen nicht anerkennt oder respektiert und nicht die Absicht hat, Rechenschaft abzulegen“, so ein Demonstrant gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press.

Nach Angaben des arabischer Nachrichtensender Al Jazeera, wurden die Proteste durch Oppositionsgruppen, von kleineren politischen Parteien sowie von Gruppen der Zivilgesellschaft organisiert. Wie die Washington Post berichtet, kam es teils zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei, in Folge derer etwa zehn Menschen festgenommen wurden.

Referendum in Tunesien: Präsident Saied greift nach der Alleinherrschaft

Erstmeldung vom Sonntag, 24. Juli: Tunis – Am 25. Juli soll in Tunesien über eine neue Verfassung abgestimmt werden. Eine Verfassung, die wohl die ohnehin schon beinahe uneingeschränkte Macht von Präsident Kais Saied noch weiter ausbauen würde. Eine Übersicht der auf Deutsch übersetzten Eckpunkte der geplanten Verfassung veröffentlichte der Newsblog tunesienexplorer.de.

Sinnbildlich für die Entwicklung des nordafrikanischen Landes ist der Wandel des Begriffs „Arabischer Frühling“ – einst wurde die Serie von Protesten in Tunesien losgetreten, in der Hoffnung auf ein demokratisches System und eine verbesserte Menschenrechtslage. Das Land galt daraufhin jahrelang als ein Vorzeigestaat, doch mittlerweile erweckt der Arabische Frühling keinen Optimismus.

Tunesien-News: Viele Menschen glauben nicht an ein faires Referendum – und demonstrieren

Dem Verfassungsentwurf zufolge sollen künftig lokale Räte anstelle der von Saied kritisierten Parteien die Parlamentsabgeordneten stellen. Genau ein Jahr vor der Abstimmung, am 25. Juni 2021, entließ der konservative Politiker nach Massendemonstrationen die Regierung von Hichem Mechichi und erklärte sich zum de facto Alleinherrscher.

Exekutive und Judikative stünden fortan gänzlich unter der direkten Kontrolle Saieds. Der 64-Jährige könnte etwa eigenhändig Posten in Gerichten ernennen und Ministeriumsstellen vergeben. Zudem hätte Saied die Unterstützung von einem Regierungschef, der von ihm selbst eingesetzt würde. Kein Wunder, dass der vorgelegte Entwurf bei der Opposition, den Gewerkschaften und einem Großteil der Bevölkerung auf Gegenwehr stößt - teilweise auch in Form von heftigen Protesten.

Tunesien-News: Regierung könnte künftig zum Großteil vom Präsidenten gestellt werden

Die Menschen in Tunesien konnten online seit Januar zwar der Verfassungskommission Vorschläge unterbreiten, allerdings war dies aufgrund technischer Probleme meist nicht möglich, wie die Süddeutsche berichtet. Schlussendlich beteiligten sich lediglich sieben Prozent der circa 9 Millionen Wahlberechtigten an dem Prozess – möglicherweise auch, weil der Glaube an ein legitimes Referendum in Tunesien inzwischen völlig fehlt.

Neue Verfassung: Referendum dürfte Tunesiens Zukunft und die des Präsidenten massiv beeinflussen

Fakt ist, dass die neue Verfassung die Macht des Präsidenten deutlich stärken würde. Im Gespräch mit dem Sender Deutschen Welle sagte Menschen- und Frauenrechtsaktivistin Bochra Belhaj Hmida, dass der Entwurf „natürlich eine Bedrohung für die Demokratie“ in Tunesien darstelle. „Wir sehen die gesamten Errungenschaften der Revolution infrage gestellt – etwa die Rede- und Vereinsfreiheit“, sagte sie weiter.

Sorgen bereiten auch bedenkliche Formulierungen im Entwurf: Etwa heißt es, dass Tunesien „Teil der islamischen Gemeinschaft“ sei und man „auf ein Erreichen der Ziele des Islam“ hinarbeiten müsse. Was genau das für das Land heißt, ist unklar – jedoch ist absehbar, dass die Demokratie unter einem zu großem, religiösen Einfluss auf Dauer nur leiden kann. (nak)

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