Neuer Grenzzaun: Wie sicher ist Finnland vor russischen Angriffen?

Eine 1.300 Kilometer lange Grenze trennt Finnland von Russland. Nach Putins Teilmobilisierung wurde der Grenzverkehr eingeschränkt. Doch Wälder und Seen lassen sich kaum kontrollieren. Nun will Helsinki einen Zaun bauen.
Helsinki/Brüssel – Russlands Krieg gegen die Ukraine war nur wenige Tage alt, als Finnland die sicherheitspolitische Zeitenwende vollzog. Ab in die NATO. Eiligst stellte Helsinki – mit Schweden im Gepäck – das Beitrittsgesuch. Ein historischer Schritt. Plötzlich sprach sich die Mehrheit der fünfeinhalb Millionen Einwohnerinnen und Einwohner für das Militär-Bündnis aus. Kurz vor Kriegsausbruch war das noch undenkbar.
Doch der russische Überfall auf die Ukraine hat unangenehme Erinnerungen geweckt. Mit seinem riesigen Nachbarland teilt Finnland eine über 1.000 Kilometer lange Grenze. Und die Historie zeigt: Die vor 30 Jahren untergegangene Sowjetunion scheute nicht davor zurück, diese Grenze zu übertreten. So im Winterkrieg 1939/1940, als die Rote Armee Finnland wegen angeblicher Sicherheitsbedenken überfiel. Mit einem ähnlichen Argument führt Russland seit dem 24. Februar einen Invasionskrieg in der Ukraine. „Finnland blickt auf eine lange Geschichte von Kriegen mit Russland zurück. Im Laufe der Geschichte hat Russland Finnland, das bis 1808/1809 noch Teil Schwedens war, mindestens einmal im Jahrhundert angegriffen“, sagt die Politikwissenschaftlerin Minna Ålander vom renommierten Thinktank Finnish Institute of International Affairs der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA.
Nicht verwunderlich also, dass die Finninnen und Finnen in die NATO drängen. Mit der Grenzschließung zu Russland angesichts der russischen Teilmobilisierung folgte der nächste große Schritt. Bis dahin war die finnische Grenze eine der wenigen verbliebenen Einreisemöglichkeiten für Russen nach Europa gewesen. Andere an Russland grenzende EU-Länder wie Polen, Lettland, Estland und Litauen hatten bereits Wochen zuvor russische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger an ihren Grenzen abgewiesen.
Und nun geht Finnland noch einen Schritt weiter: Am Mittwoch beschloss das Parlament, entlang der Grenze einen mindestens 130 Kilometer langen Zaun zu errichten. „Es geht darum, sicherzustellen, dass die Grenze gut kontrolliert ist“, sagte Ministerpräsidentin Sanna Marin. „Und dass wir die Situationen, die an der Grenze entstehen könnten, präventiv beeinflussen können.“ Alle im Parlament vertretenen Parteien haben laut Marin dem Vorschlag zugestimmt. Die Regierung arbeitet nun ein Pilotprojekt dafür aus.
Ukraine-Krieg: Finnland teilt eine 1.300 Kilometer lange, größtenteils ungeschützte Grenze mit Russland
Finnland und Russland führen seit jeher eine schwierige Beziehung. Auf der einen Seite gab es vor dem Einmarsch in die Ukraine enge partnerschaftliche Beziehungen, gemeinsame Forschungsprojekte – und die Grenze zu Finnland wurde von Russinnen und Russen zum Einkauf für den täglichen Bedarf überquert. Auf der anderen Seite hat Finnland nie die Bedrohung durch die Sowjetunion vergessen. Deshalb besitzt das kleine Finnland eines der größten Artilleriearsenale Europas. „Wir Finnen haben es in unserer DNA, dass von Russland eine imperialistische Bedrohung ausgehen kann“, sagt dazu Petri Sarvamaa der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. Der finnische Europaabgeordnete (EVP) war Initiator eines offenen Briefes an Regierungschefin Sanna Marin – mit der Forderung, Russinnen und Russen keine Schengen-Visa mehr auszustellen. Kurz darauf schränkte Finnland den Grenzverkehr tatsächlich ein.
Um die Dimension dieser Beschränkungen zu verstehen, ist es hilfreich, die 1.300-Kilometer lange Grenzlinie genauer zu betrachten. Eine Strecke, so lang wie eine Autofahrt von Flensburg nach Mailand. Das Grenzgebiet ist geprägt von Wäldern und Seen. Acht offizielle Übergänge ermöglichen die Ein- und Ausreise mit dem Auto.
Viele Menschen nutzten diese Option bis zum Schluss, um der russischen Teilmobilmachung zu entkommen. Diese Maßnahme hatte Russlands Präsident Wladimir Putin am 22. September verkündet, mit dem Ziel, 300.000 Reservisten für den Ukraine-Krieg zu mobilisieren. Der finnische Grenzschutz registrierte kurz darauf einen Höchstwert von 8.583 russischen Staatsangehörigen, die die Grenze Richtung Finnland passierten. Am 29. September beschloss die finnische Regierung, den Grenzverkehr zu beschränken.
Wer einreisen will, muss seitdem unter die von Finnland definierten Ausnahmen fallen – etwa eine Aufenthaltsgenehmigung haben, Verwandte oder eine Wohnung in Finnland. Auch wer geschäftlich oder für eine medizinische Behandlung unterwegs ist, kann einreisen. Vor allem touristische Kurzreisen aber solle es nicht mehr geben, heißt es auf der Website des Grenzschutzes.
Die Folgen der Maßnahme sind offenkundig: Nur noch rund 1.000 russische Staatsangehörige reisen durchschnittlich pro Tag nach Finnland ein. Welche Ausnahmen greifen, erfassen die Behörden nicht, wie der finnische Grenzschutz auf Anfrage der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA erklärte. Zudem fällt auf, dass seit dem 30. September mehr Menschen aus- als einreisen. Der Grenzschutz sieht in diesem Umschwung die Auswirkungen der Einreiserestriktionen: Menschen mit russischem Pass können zwar wie gewohnt ausreisen, die Einreise aber ist limitiert.
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Russland-Finnland-Grenze: Politikwissenschaftlerin berichtet über finnische Sorgen zu nationaler Sicherheit
Ist die massive Grenzbeschränkung eine Eskalation im Nachbarschaftsverhältnis? EU-Abgeordneter Sarvamaa verneint. Stattdessen bezeichnet er das Vorgehen als „Schutzmaßnahme, die durchgeführt werden musste“. Gleichwohl gibt er sich im Gespräch überzeugt, dass diese nur vorübergehender Natur sei. Russland habe außerdem momentan ganz andere Probleme. Heißt: Das Auge des Kremls ist auf die Ukraine gerichtet. Dem stimmt Politikwissenschaftlerin Minna Ålander in Teilen zu: „Es gibt momentan keine direkte militärische Bedrohung durch Russland. Aber es ist sehr wohl möglich, dass Russland eine künftige Bedrohung wird.“ Daher sei der anvisierte finnische NATO-Beitritt der einzig logische Schritt.
Als Sicherheitsrisiko sieht EU-Politiker Sarvamaa die lange Grenze jedoch bisher nicht. Einzelne könnten zwar über versteckte Waldwege nach Finnland gelangen. „Aber für größere Massen aus Russland wäre ein Grenzübertritt aufgrund moderner Technologie und Geheimdienstquellen unmöglich. Wenn es irgendwelche Pläne gäbe, die Grenze an Stellen zu überqueren, an denen es keine Kontrollen gibt, wüssten wir davon“, ist der Finne überzeugt. Der Zaun wird die Kontrolle weiter erleichtern.
Minna Ålander zufolge bereitet die Grenzsituation den Finninnen und Finnen durchaus Sorge: „In Finnland wurde aufgrund der Fluchtbewegung wehrpflichtiger Männer hitzig diskutiert, ob dies eine Sicherheitsbedrohung darstellen könnte.“ Während Deutschland über die vereinfachte Aufnahme russischer Kriegsverweigerer diskutiere, sei für Finnland klar gewesen, dass die Fluchtbewegung ein Grund sei, die „Visa-Beschränkungen zu verschärfen, statt zu erleichtern“. Auf die Frage, welcher Natur die Sicherheitsbedenken seien, führt Minna Ålander mehrere finnische Sorgen an:
- Eine Infiltration durch russische Agenten in Finnland, die sich unter die Asylsuchenden mischen
- Massenhafte, unkontrollierte, russische Grenzübertritte
- Eine destabilisierende Wirkung durch russische Staatsbürger, die zwar nicht in den Krieg ziehen wollen, aber dennoch der Propaganda des Kremls vertrauen
- Das Aufeinandertreffen mit ukrainischen Geflüchteten in Finnland
Russland-Ukraine-Krieg: „Neuer“ eiserner Vorhang? EU-Politiker sieht dennoch gemeinsame Zukunft
Etwas anders sieht das Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD): „Wer sich dem Regime von Präsident Wladimir Putin mutig entgegenstellt und deshalb in größte Gefahr begibt, kann in Deutschland wegen politischer Verfolgung Asyl beantragen.“ Während die Bundesregierung die Fluchtbewegung aus Russland prinzipiell als gutes Zeichen wertet – als Symbol, dass viele Russen sich nicht am Krieg gegen die Ukraine beteiligen wollen – geht Helsinki damit kritischer um. Zwar müsse Asyl weiterhin möglich sein, aber die deutsche Idee, dies zu vereinfachen, würde in Finnland sehr kontrovers gesehen, sagt Ålander. Und so fliehen Russen nun vor allem durch den Südosten Russlands vor der Einberufung, beispielsweise über die Grenze zu Kasachstan, Georgien oder die Mongolei.
Manche kritische Stimmen, wie der russische Oppositionspolitiker Lew Schlossberg, fürchten wegen der EU-Grenzschließungen einen „neuen“ Eisernen Vorhang. Fluchtwege zu beschneiden, würde nur dem Kreml dienen. Ähnlich argumentierte kürzlich ein Autor in dem in EU-Kreisen viel beachtetem Newsletter Brussels Playbook. Das sehen Polen und die baltischen Staaten grundlegend anders. „Wir werden keine Gruppe von Russen pauschal nach Polen einreisen lassen, auch nicht solche, die behaupten, sie würden vor der Mobilisierung fliehen“, sagte etwa laut Deutscher Presse-Agentur der polnische Vize-Innenminister Marcin Wasik. Und Litauens Innenministerin Agne Bilotaite warnte, dass unter dem Deckmantel der Flucht vor Mobilisierung auch Beamte des russischen Geheimdienstes, des Militärs oder von ihnen rekrutierte Personen ins Land kommen könnten. Die Gefährdung der eigenen Sicherheitslage durch Russland treibt auch diese Länder um.
Trotz der aktuell düsteren Situation sieht Petri Sarvamaa eine gemeinsame Zukunft Finnlands und Russlands. Unter einer Bedingung: „Wir müssen die demokratischen Ambitionen in Russland auf jede erdenkliche Weise unterstützen. Früher oder später wird die aktuelle Regierung in Moskau stürzen. Dann gibt es auch für Finnland und Russland wieder eine Perspektive.“