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EU verurteilt Russland als „Terror-Sponsor“ – deutscher Linken-Chef erklärt: „Darum stimmte ich dagegen“

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Von: Andreas Schmid

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Die EU stuft Russland als „Terrorsponsor“ ein.
Die EU stuft Russland als „Terrorsponsor“ ein. Was bedeutet die Entscheidung für diplomatische Gespräche mit Putin? © Olga Maltseva/afp (Montage)

Die EU hat Russland mit großer Mehrheit zum staatlichen Unterstützer von Terrorismus erklärt, doch 58 EU-Abgeordnete stimmten dagegen. Warum?

Das erklärt unsere Serie EU-Inside. Hier berichten wir von den Dingen, die hinter verschlossenen Türen und nach den Entscheidungen des EU-Parlaments stattfinden.

Straßburg – Im Parlament der Europäischen Union treffen die Meinungen von 27 Mitgliedstaaten und 190 verschiedenen Parteien aufeinander, zum Teil mit extrem unterschiedlichen Ansichten. In einem Punkt sind sich fast alle der 705 gewählten EU-Abgeordneten aber einig: dem Umgang mit Russland und dem Ukraine-Krieg.

Das EU-Parlament stufte Russland Ende November Woche als „staatlichen Sponsor von Terrorismus“ ein. Aufgrund der „vorsätzlichen Angriffe und Gräueltaten gegen die ukrainische Zivilbevölkerung“, wie es in der deutschen Fassung heißt. Der Beschluss ist nicht bindend und hat damit auch keine juristischen Konsequenzen für den Kreml.

Trotz alledem ist die Einstufung ein historischer Schritt. Sie ist die Grundlage, um weitere Sanktionen auf den Weg zu bringen. Und: Sie ist eine weitere Solidaritätsaktion mit der Ukraine. Das Signal an Kiew: Wir stehen an eurer Seite. Warum aber stimmten 58 EU-Abgeordnete dagegen?

„Ein großer politischer Fehler“: Deshalb stimmte Martin Schirdewan gegen die Resolution

IPPEN.MEDIA hakt nach bei Martin Schirdewan, Co-Chef der Partei Die Linke sowie der Linksfraktion im Europäischen Parlament. „Das Parlament hat einen großen politischen Fehler gemacht“, sagt Schirdewan. Die Entscheidung sei „komplett unerklärlich“ und „total kurzfristig gedacht“. Deshalb stimmte er dagegen. Seine Begründung: Die politischen Folgen würden nicht mitgedacht und diplomatische Beziehungen und Verhandlungen erschwert. Denn durch die Einstufung gilt für ihn jetzt: „Mit Terroristen verhandelt man nicht.“

Zwar sehe es derzeit ohnehin nicht nach raschen Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine aus, künftige Friedensbemühungen verkomplizierten sich seiner Meinung jedoch. Zum Beispiel, wenn im fünfköpfigen UN-Sicherheitsrat Russland als „Terrorstaat“ jetzt auf Frankreich trifft. „Wie soll denn da noch normaler Dialog stattfinden?“ Die Einstufung gefährde daher auch das Getreideabkommen, das die UN mitverhandelt hat.

Martin Schirdewan im Europarlament
Martin Schirdewan sitzt seit 2017 im Europaparlament und ist Co-Vorsitzender der Linksfraktion. Seit Sommer führt der 47-Jährige gemeinsam mit Janine Wissler auch die Bundeslinken an. © Quentin Bruno/fkn

Schirdewan betont, es sei wichtig, den Ukraine-Krieg als „völkerrechtswidrigen, illegalen russischen Angriffskrieg“ zu benennen. „Neue Zuspitzungen durch neue Begriffe sind aber einfach total kurzfristige Politik.“ Das Parlament sei „offenbar vorgeprescht, weil es mit einem lauten Knall in die Medien wollte, aber es war der laute Knall an der falschen Ecke“. Die Abgeordneten, die für die Resolution stimmten, bezeichnet Schirdewan als „Musterschüler und Klassenstreber“.

„Kann man nur Terrorismus nennen“: Deshalb stimmte David McAllister für die Resolution

Harte Kritik, die die deutliche Mehrheit der EU-Parlamentarier zurückweist. 494 Abgeordnete stimmten für die Resolution. Einer von ihnen ist der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, David McAllister (CDU): „Kriegsverbrechen, Vergewaltigungen, Morde, Folter, Beschuss von zivilen Institutionen, die teils auch Kinder beherbergen – das kann man nur als Terrorismus beschreiben.“ Zudem reiche die „Spur terroristischer Aktivitäten“ Russlands auch in die vergangenen Jahre. McAllister meint unter anderem „politische Auftragsmorde“ und die „grausamen Aktivitäten in Syrien“.

Mit der Einstufung habe, so McAllister, die EU den Weg für ein weiteres Sanktionspaket geebnet. Hinter den Kulissen arbeitet das Europaparlemt bereits an neuen Einschränkungen für Russland. Schirdewans Argument, Verhandlungen seien jetzt nicht mehr möglich, lässt er nicht gelten. Denn das sei ja ein Ziel: „Russland muss international weiter geächtet und die diplomatischen Beziehungen sollten auf das absolute Minimum reduziert werden.“

David McAllister im Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Straßburg.
David McAllister war Ministerpräsident in Niedersachsen und sitzt seit 2014 im Europaparlament. Der Vizepräsident der EVP-Fraktion leitet den Ausschuss für auswertige Angelegenheiten. © Imago/Christoph Hardt

EU-Resolution Russland als „Terror-Sponsor“: Diese Deutschen stimmten dagegen

Einstufung Russlands als „Terror-Sponsor“: eine „symbolische Entscheidung“

Die nun getroffene Entschließung „ist zunächst einmal eine symbolische Entscheidung“, meint McAllister. Die Rechtsmittel der EU erlauben es nicht, Drittstaaten als terroristisch einzustufen. Einige Parlamentarier wollen das mithilfe der EU-Kommission ändern. Dann könnte Russland vor ein internationales Tribunal gestellt und russisches Staatsvermögen beschlagnahmt werden; bisher ist es nur eingefroren. Die USA wiederum haben andere rechtliche Mittel. Bislang weigert sich die Biden-Regierung jedoch, Russland als „terror state“ einzustufen.

Aus Straßburg berichtet Andreas Schmid

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