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Londons Flughafen platzt aus allen Nähten

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Nur ein bisschen Schnee - aber das Chaos an Londons Flughafen ist groß. © AP

London - Das Chaos nach ein paar Zentimetern Schnee in den vergangenen Tagen hat es wieder gezeigt: Londons Flughafen Heathrow platzt aus alleln Nähten. Die Diskussion darüber, wie die Metropole Abhilfe schaffen kann, ist voll entbrannt.

„Schnee in Heathrow!“ Wer als Fluggast diese Ansage im Wetterbericht hört, bleibt am besten zu Hause oder bucht um. Europas größter Flughafen im Westen von London wird seit Jahren mit dem Winter nicht fertig. Schneemengen von zwei bis drei Zentimetern, die den Winterdienstlern auf Airports in den Alpen, in Skandinavien oder in Nordamerika ein müdes Lächeln entlocken würden, führen in Heathrow zum Zusammenbruch.

In den vergangenen zehn Tagen musste das wichtigste europäische Luftfahrt-Drehkreuz über 1000 Flüge streichen, weil Frau Holle ein paar Flocken über London streute. Weihnachten 2010 wurde wegen zwei Zentimetern Schnee sogar der gesamte Flughafen tagelang gesperrt - mit erheblichen Auswirkungen auf den Flugbetrieb auf dem gesamten Kontinent und sogar darüber hinaus. Warum kommt Heathrow trotz Investitionen von 36 Millionen Pfund (42,3 Mio Euro) in die Wintertechnik mit dem Schnee nicht zurecht, obwohl auf den anderen Londoner Flughäfen Gatwick, Stansted und Luton alles normal läuft?

Der Grund für das alljährlich wiederkehrende Desaster ist den Verantwortlichen klar: Heathrow platzt aus allen Nähten. Die fünf Terminals und zwei Startbahnen sind mit den im vergangenen Jahr 69,9 Millionen Passagieren bis an den Rand der Belastbarkeit strapaziert. Das bedeutet zwar im Olympiajahr nur ein Plus von 0,9 Prozent zum Vorjahr - 2011 schlug noch eine Steigerung um 5,4 Prozent zu Buche. Dennoch: Jede Minute startet oder landet in Heathrow ein Flugzeug. Die Auslastung liegt bei 99 Prozent.

Heathrow ist so voll, dass Fluggesellschaften Konkurrenten aufkaufen, nur um an Slots für Starts und Landungen zu kommen. Das kleinste Sandkörnchen - oder Schneeflöckchen - im Getriebe kann das ganze System stoppen. Eine vom Flughafen selbst im vergangenen Jahr in Auftrag gegebene Untersuchung hat ergeben, dass die Enge in Heathrow der britischen Volkswirtschaft derzeit 14 Milliarden Pfund an Umsatzeinbußen einbrockt. Bis 2030 könnten es 26 Milliarden sein.

Das Dilemma ist bekannt - die Lösung umstritten. Der Vorstandschef des nahegelegenen Flughafens Gatwick, Stewart Wingate, forderte in einem Brief an das britische Verkehrsministerium dazu auf, den Flugplan des großen Nachbarn zumindest im Winter auszudünnen. Es könne nicht richtig sein, dass man Fluggäste um Entschuldigung bitten muss, nur weil es „ganz normale Winterbedingungen“ gibt, heißt es in dem Schreiben für britische Verhältnisse recht unumwunden. Heathrow solle die Zahl der Flüge von Dezember bis Februar so beschränken, „dass es damit klarkommt“, fordert Wingate. Der Rest solle auf die Nachbarflughäfen Gatwick und Stansted verteilt werden.

Doch langfristig ist auch das nicht genug. Londons Bürgermeister Boris Johnson sieht seit langem die Wettbewerbsfähigkeit seiner Stadt in Gefahr, wenn sie der weiter wachsenden Zahl von Fluggästen nicht mehr Herr wird. Johnson favorisierte lange Zeit einen kompletten Neubau an der Themsemündung. Doch vorab ausgeplauderte Erkenntnisse eines Parlamentsausschusses legten nun offen, dass Johnsons Pläne mehr Wunschdenken denn Vision sind. Kosten in Höhe von Schwindel erregenden 70 Milliarden Pfund würden einen wirtschaftlichen Betrieb des neuen Flughafens für Generationen unmöglich machen.

Favorisiert wird jetzt anscheinend ein Ausbau des kleineren und gerade erst verkauften Flughafens Stansted im Londoner Nordosten. Zusätzlich könnte es statt eines „Super-Hubs“ nun eine „Hub-City“ geben - mit erhöhten Kapazitäten und mehr Startbahnen an allen fünf größeren Flughäfen im Großraumraum London. Ein entsprechendes Konzept des renommierten Architekturbüros Grimshaw liegt auf dem Tisch.

Am Ende könnte London vielleicht doch noch auf den Rat des für seinen Pragmatismus bekannten Chefs der irischen Billigfluglinie Ryanair, Michael O'Leary, hören. Der hatte den ewigen Streit um den Ausbau von Heathrow oder ein neues Riesenprojekt satt: „Baut endlich neue Startbahnen - in Heathrow, Stansted und in Gatwick. So schnell wie möglich. Alles andere ist geisteskrank.“

dpa

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